Die Verenalegenden

Im Schiff des Verenamünsters hängen zwölf Tafelbilder, auf denen die Legende der Heiligen Verena dargestellt ist. Die Bilder stammen aus dem 17. Jahrhundert und sind ein Werk des Zuger Malers Kaspar Letter.

Der untenstehende Text folgt diesen Tafelbildern und erzählt die zwei alten Fassungen der Verenalegende(1) nach:

Theben und Mailand

Verena kommt in der Ägyptischen Stadt Theben(2) zur Welt. Sie ist die Tochter wohlhabender Eltern und wird von Bischof Chäremon(3) getauft.

Verena schliesst sich der Thebäischen Legion(4) an, verlässt ihre Heimat und zieht mit den Soldaten Richtung Norden. Kommandant der Legion ist Verenas Cousin Mauritius und auch ihr Verlobter, Viktor, ist einer der Legionäre.

Die Legion erreicht Mailand. Während die Soldaten über die Alpen ins Wallis weiterziehen, bleibt Verena in der Stadt zurück. Sie pflegt Kranke, besucht Gefangene und wartet die milde Jahreszeit ab, um Mauritius und seinen Männern dann zu folgen.

Im Wallis, in der Gegend des heutigen St. Maurice, fällt die Thebäische Legion einer Christenverfolgung zum Opfer.

Solothurn

Verena erfährt vom Martyrium der Thebäer. Sie begibt sich an den Ort des Geschehens, hilft die Märtyrer zu bestatten und lebt fortan in einer Höhle nahe der Stadt Solothurn(5).

Verenas Aufenthalt in Solothurn bleibt nicht unbemerkt. Sie wird von Kranken aufgesucht, von Einheimischen unterstützt und schliesslich vom römischen Statthalter Hirtacus verhaftet und in den Kerker geworfen. Aufgrund ihres Glaubens droht ihr die Todesstrafe. Im Kerker wird Verena von Mauritius getröstet. Er erscheint ihr und bestärkt sie, auf Gott zu vertrauen.

Wenig später erkrankt der römische Statthalter. Hirtacus lässt Verena zu sich rufen und auf ihr Gebet hin wird er wieder gesund. Aus Dankbarkeit lässt Hirtacus Verena frei. Zurück in ihrer Höhle sammelt sie religiöse Frauen um sich und lebt jetzt als Vorsteherin einer Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird der Region zum Segen. Während einer Hungersnot soll den Frauen um Verena das Mehl nie ausgegangen sein

Koblenz(6)

Es drängt Verena, Solothurn zu verlassen. Sie sucht sich eine neue Wirkungsstätte und kommt nach Koblenz(7). Dort zieht sie sich auf eine der Inseln zurück, die es da beim Zusammenfluss von Aare und Rhein bis heute gibt. Auf dieser Insel wimmelt es aber von Schlangen. Sich da aufzuhalten, ist gefährlich. Um die Gefahr zu bannen, spricht Verena ein Segensgebet über die Insel und alle Schlangen stürzen sich in den Rhein, um sich zu ersäufen.

Wie schon in Solothurn wird Verena auch in Koblenz von Kranken aufgesucht, die auf ihr Gebet hin Heilung finden

Zurzach

Nicht weit von Koblenz, in Zurzach, gab es damals schon eine christliche Gemeinde. Derentwegen verlässt Verena ihre Insel und findet im Haus des Zurzacher Priesters eine neue Bleibe. Auch in Zurzach kümmert sie sich um Arme und Kranke. Ihre Attribute, Kamm und Krug, sind Zeichen dafür.

Verena ist bei der Bevölkerung bald sehr beliebt. Das weckt Neid und Missgunst. Ein Knecht des Priesters bemerkt, dass Verena heimlich vom Wein im Pfarrhauskeller nimmt und davon den Kranken bringt. Er trägt das dem Priester zu und als Verena wieder mit einem Krug voller Wein zu den Kranken unterwegs ist, wird sie zur Rede gestellt. Der Priester verlangt, Verenas Krug zu sehen. Aber so wie er in den Krug blickt, verwandelte sich der Wein darin zu Wasser.

Gott zeigte sich stärker als die Bosheit der Menschen. Aber Verena blieb weiterhin der Missgunst ausgesetzt.

Zu Beginn der Fastenzeit trägt ihr der Priester auf, seinen goldenen Ring in Verwahrung zu nehmen. Während der Fastenzeit war es ihm nämlich nicht gestattet, Schmuck zu tragen. Verena hütet den Ring in ihrer Kammer. Doch der missgünstige Knecht weiss, wo Verena den Ring aufbewahrt. Heimlich nimmt er ihn an sich und wirft ihn in den Rhein. Das Schmuckstück scheint verloren. Kurz vor Ostern bringen Fischer einen Lachs ins Pfarrhaus. Als dieser in der Küche zubereitet wird, kommt der gestohlene Ring im Magen des Fisches zum Vorschein

In Verenas Todesstunde erscheinen die Muttergottes und viele heilige Frauen, um Verena abzuholen und ihre Seele in den Himmel zu begleiten.

Legenden enthalten Geschichten, selbst wenn sich diese nie so zugetragen haben. Die Verenalegende ist wahr, weil sie erzählt, was menschliches Leben und christlicher Glauben bedeuten.

(1) Die älteste Fassung der Verenalegende stammt aus dem 9. Jahrhundert. Sie wurde vom Reichenauer Abt Hatto III. verfasst und wird "vita prior" genannt. Der Text Hattos wird rund hundert Jahre später durch einen Mönch aus dem damaligen Klösterchen Zurzach erweitert. Dieser fügt ihm die sogenannte "vita posterior" an und erzählt Episoden aus dem Leben der Heiligen, die sich in Koblenz und Zurzach zugetragen haben sollen.

(2) Aufgrund ihrer Herkunft wird Verena auch von den ägyptischen Christen, den sogenannten Kopten, verehrt. Bei der koptischen Kirche handelt es sich um eine selbstständige, altorientalische Kirche. Ihr Oberhaupt ist der koptische Papst. Er residiert in Kairo. Das Verenamünster ist im Besitz von koptischen Ikonen.

(3) Chäremon wird in der Kirchengeschichte des Eusebius erwähnt und soll um 250 in der Christenverfolgung unter Diokletian ums Leben gekommen sein. Akzeptiert man als Verenas Todesjahr das vom letzten Propst des Chorherrenstifts errechnete Jahr 344 n. Chr., so müsste Verena mindestens 94 Jahre alt geworden sein.

(4) Die sogenannte Thebäische Legion ist bis heute sehr umstritten. Vermutlich dürfte es sich bei den christlichen Soldaten nicht um eine ganze Legion, sondern eher um einen Truppenteil gehandelt haben, dessen Verlegungen einer Strafexpeditionen gleich kam. Die militärische Disziplinierung christlicher junger Männer aus der Wüstenväter-Bewegung lässt sich mithilfe der alten Aufzeichnungen um das Wirken des Klostergründers Pachomius belegen.

(5) Der Überlieferung nach befand sich Verenas Höhle in der nach ihr benannten Verenaschlucht. Auch andere Thebäer sind dem Martyrium in Agaunum entgangen. Ursus und Viktor gelangen ebenfalls nach Solothurn, Felix und Regula nach Zürich.

(6) Bei den Episoden, welche sich in Koblenz und Zurzach abspielen, handelt es sich um die unter 1. erwähnten Erweiterungen der von Abt Hatto verfassten Legende. Verena wird nicht mehr als unabhängige Frau geschildert, sondern erscheint jetzt in der Rolle einer als Pfarrhaushälterin. Wundererzählungen, wie die Geschichte vom verwandelten Wein oder die des wiedergefundenen Ringes, sichern den guten Ruf Verenas. Durchgängig wird das caritative Leben der Heiligen berichtet.

(7) Die Erzählung, dass Verena auf einem schwimmenden Stein aareabwärts von Solothurn nach Koblenz gefahren sei, findet sich in den alten schriftlichen Fassungen der Legende nicht. Die Geschichte vom Stein auf dem Wasser ist eine mittelalterliche Ergänzung.

Informationen über Verena und das Verenamünster finden Sie unter www.st-verena.ch oder im neusten Verenabuch: Walter Bühlmann, Mit Kamm und Krug, Entdeckungsreise zu Verena von Zurzach, Rex Verlag 2009, ISBN 978-3-7252-0868-5

Die Originaltexte von vita prior und vita posterior sind unter folgenden Links zu finden